Laudatio für Dr. med. dent. Albrecht Schmierer

Laudatio für Dr. Albrecht Schmierer
Zur Verleihung des Preises der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose
Am 24. März 2011 In Bad Kissingen

Lieber Albrecht, wir kennen uns seit mehr als 20 Jahren und es ist mir ein Vergnügen, Dir heute eine kleine Rede zu halten, um Deine Ehrung und die Verleihung des Preises der Milton Erickson Gesellschaft an Dich zu begleiten.
Albrecht Schmierer ist Zahnarzt. Er hat in Tübingen Zahnmedizin studiert und dort seine Assistentenzeit verbracht. Als ich 1979 nach Tübingen kam, war er schon in eigener Praxis tätig und kennen gelernt hab ich ihn als Patient. Wir haben herausgefunden, dass wir beide gern in die Sauna gehen und uns für Hypnose interessieren. Und so ist diese Laudatio auch im Bademantel zwischen Saunagängen entstanden. In einer unserer ersten Begegnungen hat er mich beiläufig von einer Phobie kuriert. Ich war damals von einer skurrilen Angst besessen, dass Zellophanhüllen um Gebrauchsgegenstände niemals aufgehen werden, verzweifelte regelmäßig daran, dass ich den kleinen roten Anfang nicht fand und wurde dann immer ganz ungehalten. Eigentlich sollte Albrecht mir nur eine Handschuhanalgesie mit Nadelstich zeigen. Da er meine Nervosität beim Öffnen der Hülle wahrnahm, in der die Kanülen eingeschweißt sind, hat er mir neben der Anästhesie posthypnotische Geduld suggeriert. So ist er eben. Er tut immer mehr als von ihm verlangt wird. Und das hat etwas mit seiner Produktivität zu tun. Albecht schaut nicht drauf, ob das Soll erfüllt ist.
Albrecht Schmierer wurde 1948 als eines vier von Kindern und einziger männlicher Nachkomme eines strengen Pfarrers in Stuttgart geboren. Er verbrachte seine Kindheit in einem pietistischen Haus, in dem auch der Mesmer und andere fromme Leute wohnten. So viel umgebende Gottesfurcht hat ihm nicht gut getan und seinen Oppositionsgeist geschürt. Da er gegen die elterliche Autorität als Bub nicht so viel ausrichten konnte, hatte der kleine Albrecht im Sinne einer Verschiebung immer den Wunsch, seine drei großen Schwestern zu verhauen. Diese Fixierung hat nie nachgelassen, nur ist sie später ins Gegenteil umgeschlagen und er hat sich zu einem Verehrer des Weiblichen gewandelt. Auch hat er alle Frömmigkeit abgelegt und nur noch gelegentliche große schwarze Hüte auf seinem Haupt erinnern an den klerikalen Familienhintergrund. Ansonsten wurde er zum bekennenden Hedonisten. Er liebt das gute Essen und den Wein und weiß die legendären Seminarkongresse auf Gozo zu einem Ereignis mediteraner Sinnenfreude zu gestalten. Seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz und Erfolg verdankt er vermutlich einer einzelnen Suggestion, worauf ich gleich zurückkomme. Als Bub war Albrecht schüchtern und verträumt. Dem Fußballspiel der Klassenkameraden schaute er aus dem Fenster zu und der erste und einzige Versuch, dabei zu sein, endete jäh mit einem Volltreffer des Balles mitten im Gesicht. In der Schule eher lustlos nervte er seinen Lehrer dadurch, dass er die meiste Zeit aus dem Fenster schaute und zur Ordnung gerufen mit dilatiertem Blick durch ihn hindurch sah – vielleicht eine intuitive Variante der Faszinationsmethode. Jedenfalls bewirkte er durch die Androhung, die Schule zu schmeißen, dass er bis zum Abitur keine Hausaufgaben machen musste. Dafür widmete er sich dem Hobby der Fotografie und konnte durch das Porträtieren der Mitschulerinnen deren Sympathie sozusagen auf sublimiertem Weg erringen.
Der Entschluss, Arzt zu werden, änderte sich nach einem Praktikum im Katharinenhospital in Stuttgart, wo er gleich am ersten Tag unvorbereitet im Op-Saal Haken halten musste und lange Nachtwachen auf der Intensivstation mit Sterbenden neben dem Mitgefühl den Wunsch in ihm wachsen ließen, mit gesunden Menschen zu arbeiten. So wechselte er zur Zahnmedizin. Im Studium war er zunächst kein Überflieger, eher ein Dreierkandidat. Bis zum Vorphysikum. Fürs Physikum hat er dann doch richtig gepaukt und nach der Gruppenprüfung sagte der Professor zu ihm – und jetzt kommt die Suggestion mit gravierenden Folgen: „Schmierer Sie sind der Beste“. Das hatte noch nie jemand zu ihm gesagt. Danach festigte sein Förderer das neue Selbstbild mit einer gemeinsam durchzechten Nacht und Albrecht war wie umgewandelt. Ein Einserkandidat und von unbändiger Studierlust ergriffen. Er machte nebenher auch – gründlich wie er ist - eine Zahntechniker Ausbildung und erfuhr, wie man sich in den Labors über die schlechten Abdrücke ärgerte, die die Zahnärzte liefern und wollte es besser machen. Er blieb in der Uniklinik, weil ihn die Wissenschaft interessierte – bemerkte aber zu seinem Verdruss, dass die Zahnärzte in der Praxis viel mehr Geld verdienten. So fing er früh an zahnmedizinische Kurse zu geben und überflügelte im Einkommen bald die niedergelassenen Kollegen. Albrecht ist am breiteren Blickwinkel interessiert; er war schon immer der Meinung, dass das Gebiss etwas mit der Psyche zu tun hat und dass es mehr als die pathologische Sichtweise in der Medizin geben muss. So hat er bereits als Student eine Ausbildung in Gestalttherapie bei Toni Horn gemacht. Das humanistische Wohlwollen, das dieser Therapieform und Lebensphilosophie zugrunde liegt, hat ihn gründlich geprägt. Selten hab ich einen Menschen getroffen, dessen Glaube an die positiven Seiten der Menschen so schwer zu erschüttern ist. Den Anspruch, über den Tellerrand zu sehen, kann man auch bei vielen seiner Kollegen wieder erkennen, die bei ihm die Hypnoseausbildung absolviert haben. Manche können sogar Bogenschießen und die Trommel schlagen. Deswegen sind von Abrecht organisierte Kongresse nicht nur von fachlichem Interesse; sie haben immer Unterhaltungswert im besten Sinne, dass sie nämlich den manchmal überraschten Besucher mit Dingen konfrontieren – wie dem zahnbehängten Schamanen Joseph aus der Karibik - die er im Zusammenhang mit klinischer Hypnose nicht erwartet hätte und auf diese Weise nicht umhin kann, seine Gedanken neu zu ordnen. Er selbst hat Hypnose wegen zahnmedizinisch nicht lösbarer Fälle mit chronischen Schmerzen auf Anraten seiner Schwester Agathe gelernt und zwar bei Deborah Ross, Marc Lehrer, David Cheek und anderen. Ihm wurde sehr bald klar, dass die gesamte Zahnmedizin von der Hypnose profitieren könne: Patient und Arzt sind entspannt. Angst und Wut sind verschwunden. So ergibt sich eine bessere Compliance und eine Alternative zu chemischen Anästhesie bei Medikamenten-Unverträglichkeit; überhaupt braucht man weniger bis keine Schmerzmittel; die Blutung kann kontrolliert werden; Möglichkeiten der Behandlung von Würgereiz, Knirscheln und Zahnarztphobie sind gegeben. Um die Hypnose dem zeitlichen Rahmen der Zahnbehandlung anzupassen entstanden zahlreiche Spezialformen der Trance-Einleitung, unter anderem die berühmte Turboinduktion, wobei der Arm des Patienten überraschend in die Höhe bewegt wird, was entfernt an eine Grußpraxis aus anderen Zeiten erinnert.
Insbesondere die Kinderbehandlung profitiert von der Hypnose wie Albrecht und seine Frau Gudrun bald herausfanden. Auch kann man den taktilen Zugang, die ohnehin stattfindenden Berührungen, als zusätzliche Komponente der Tranceinduktion nutzen und das ganze Team mit einbeziehen. So entschloss sich Albrecht 1982, als die MEG noch in den Kinderschuhen steckte und die DGH gerade erst gegründet wurde, zusammen Manfred Prior das erste Hypnoseseminar für Zahnärzte zu halten, 1988 ein Curriculum für zahnärztliche Hypnose zu veranstalten und 1994 mit Gudrun die Deutsche Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose mit 7 Mitgliedern zu gründen. Vierzehn Jahre später gibt es bereits 1650 Mitglieder der DGZH, deren Präsident er seit der Gründung ist – was auf eine gewisse Ablösungsproblematik hindeutet. Die Arbeit der DGZH hat dank Albrechts unermüdicher Seminar- und Vortragstätigkeit und Gudruns immenser Unterstützung eine enorme Breitenwirkung. Bis heute sind über 5000 Kollegen in der DGZH ausgebildet worden und man schätzt, dass derzeit etwa 1000 Zahnärzte im deutschsprachigen Raum Hypnose in der Praxis anwenden. Albrecht scheut keine Mühe, sich für die Verbreitung der Hypnotherapie einzusetzen. Er war Vorstandsmitglied der Milton Erickson Gesellschaft für klinische Hypnose, Vorstandsmitglied der European Society of Hypnosis, Vorstandsmitglied der International Society of Hypnosis und ist Ehrenmitglied der Milton Erickson Gesellschaft. Er ist Lehrbeauftragter für Hypnose in der Zahnmedizin der freien Universität Berlin und der Eberhard-Karls Universität Tübingen. Er hält Vorlesungen über Hypnose an den Universitäten Bonn, Ulm, Zürich, Heidelberg, Würzburg, Dresden, Leipzig, Erfurt, Halle, Kiel, Regensburg, Freiburg, Hannover, Tübingen. Albrecht ist der Sponsor zahlreicher Diplom- und Doktorarbeiten und fördert die Forschung wo er nur kann – oft aus eigenen Mitteln. Für seine Verdienste um die Hypnose wurde Albrecht mit dem Award of Clinical Exellence der International Society of Hypnosis und mit dem Special Award der European Society of Hypnosis ausgezeichnet. Er ist mit Gudrun in dem von beiden gegründeten Hypnos Verlag verlegerisch tätig, in dem mit Print- und Audiomedien für die Verbreitung der Hypnotherapie gesorgt wird. Und er ist weitläufig in den Medien präsent, allein in 45 Fernsehsendungen über zahnärztliche Hypnose ist er bisher aufgetreten und an wissenschaftlichen Publikationen hat er fünf Bücher über zahnärztliche Hypnose und 35 Artikel vorzuweisen. Er ist Organisator und die Seele von jährlich zwei großer Fachtagungen. Und das alles neben einer umfangreichen Praxis in Stuttgart und einem bewegten Leben als leidenschaftlicher Familienvater mit Gudrun und ihren zwei Kindern Max und Victoria.
Albrecht ist immer großzügig, wenn es um eine gute Sache geht, sei es die Etablierung des Curriculums Medizinische Hypnose ohne Honorar, seien es Tagungen, die dem Kontakt der Kollegen und der Öffentlichkeitsarbeit dienen sei es wenn’s ums Feste Feiern geht. Zur Überprüfung der Lebensqualität bei soviel Hingabe an die Sache besprechen wir uns einmal alle vierzehn Tage in der Sauna, ob die Life-work Balance noch stimmt.

Lieber Albrecht, für all das: Dein großartiges Engagement für die klinische Hypnose und den guten Geist mit dem Du die Sache befruchtest, möchte Dich die Milton Erickson Gesellschaft heute ehren um Dein unermüdlicher Fleiß und Einsatz um die wissenschaftliche und öffentliche Anerkennung der Hypnose zu würdigen.

Dirk Revenstorf

 
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