Laudatio für Prof. Dr. Walter Bongartz

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Bärbel Bongartz,

der diesjährige Milton Erickson Preis der M.E.G. geht an Prof. Dr. Walter Bongartz von der Universität Konstanz. Dieser von Ulrich Freund gestiftete und mit € 5000.- dotierte Preis wird ihm verliehen für sein bisheriges Lebenswerk auf dem Gebiet der Hypnose und Hypnotherapie.

Erlauben Sie mir, Ihnen den Preisträger persönlich vorzustellen, indem ich zunächst einige Daten aus seiner Vita vortrage: Walter Bongartz wurde am 19.2.1946 in Regensburg geboren, wuchs dann aber im Ruhrgebiet auf, machte sein Abitur 1966 in Recklinghausen und studierte 1967 bis 1972 an der Ruhruniversität Bochum Psychologie. 1972 – 75 war er dort Doktorand, danach wissenschaftlicher Assistent an der Psychologischen Fakultät der Universität Konstanz, wo er am 17.2.1978 über Selektive Verarbeitung tachistoskopisch dargebotener Reizmuster (Bongartz, 1978) promovierte. Es folgte ein einjähriges Forschungsstipendium am Department of Psychology der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, USA, bis 1980; danach war er wieder wissenschaftlicher Assistent und später akademischer Rat an der Universität Konstanz, wo er sich 1993 habilitierte und seit 1998 eine Professur innehat. An der Universität von Kalifornien lernte er u.a. auch, dass Hypnose ein ernsthafter Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein kann. In unmittelbaren, man könnte fast sagen körperlichen Kontakt mit Hypnose war er aber schon vorher gekommen: Ganz in der Nähe von Konstanz, in Iznang, liegt das Geburtshaus von Franz Anton Mesmer. Vom Fenster seines Arbeitszimmers an der Universität Konstanz aus konnte er über den Bodensee hinüber nach Meersburg sehen, wo Mesmer begraben liegt. Mit seinen Studenten hat sich Walter schon früh um die Erhaltung dieses Grabes gekümmert. In Meersburg hat Mesmer auch seine letzten Lebensjahre verbracht. Diese Ecke des Bodensees ist offenbar ein animalisch magnetisch tief geschwängertes Gebiet, das Walter Bongartz sein ganzes weiteres Leben nicht mehr losließ: Er ist immer noch an der gleichen Universität tätig, heute als Professor; hierher lockte er seine Frau Bärbel; hier in der Nähe, in Schloss Klingenberg, lebt er mit ihr und ihrer beider Kinder; und von hier aus plante und unternahm er die diversen Aktivitäten, welche ihn zu einer wichtigen Figur in der deutschsprachigen, der europäischen und der internationalen Hypnosegemeinschaft werden ließen. Ich kann hier nur einige Stationen seines Lebensweges und nur ein paar Kapitel seines Lebenswerkes für die Hypnose und Hypnotherapie aufzählen: - 1981 war er Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Hypnose (DGH); - 1983 gründete er die Experimentelle und klinische Hypnose, die wissenschaftliche Zeitschrift der DGH. Unter seiner Herausgeberschaft und noch lange Jahre danach war die ExKli das sehr ernst zu nehmende Pendant zu unserer eigenen Zeitschrift Hykog; - aus dem Jahr 1983 stammt auch seine erst deutsche Veröffentlichung über Hypnose: Veränderte Wahrnehmung in Hypnose: Der Einfluss von subjektiv erlebter Armverlängerung in Hypnose auf die kinästhetische Längendiskrimination (Bongartz, 1983; die allererste Hypnoseveröffentlichung fand im Jahr zuvor in einer italienischen Zeitschrift statt, Bongartz, 1982). - 1984 war er einer der Hauptredner auf unserem „Ersten deutschsprachigen Kongress für Ericksonsche Hypnose und Psychotherapie“ an der Universität München (Bongartz, 1985a). Hier lernte ich ihn zum ersten Mal persönlich kennen, im Cafe „Monopteros“ am Englischen Garten; die warme Oktobersonne ließ München leuchten und wir alle hatten damals – auf diesem Kongress mit „nur“ 400 Teilnehmer, damals eine riesige Zahl – das unmittelbare, pulsierende Gefühl, dass es mit der Hypnose und Hypnotherapie in Deutschland endlich wieder aufwärts gehe. Dass es aber so rasant gehen und dass der Erfolg sich konsolidieren würde, das konnten wir uns in unseren kühnsten Träumen damals nicht vorstellen. Als kleines Beispiel am Rande möchte ich erwähnen, dass das letzte Heft unserer Zeitschrift HyKog über Hirn und Hypnose, gastherausgegeben von der letztjährigen Preisträgerin, Ulrike Halsband, offenbar dabei ist, eine Art Kultobjekt zu werden, man hat es einfach auf seinem Schreibtisch oder im Wartezimmer liegen und kann Patientinnen oder Kollegen anhand der bunten Bilder eine Vorstellung vermitteln, dass während der Hypnose etwas im Gehirn geschieht. Das erste Heft von HyKog erschien übrigens damals 1984 auf jenem denkwürdigen Kongress. Hier sitzt der Mann, Walter Bongartz, der zu dieser erstaunlichen Entwicklung der Hypnose und Hypnotherapie mit beigetragen hat. Übrigens: Dem Protokoll eines Treffens der Vorstände der beiden Gesellschaften DGH und M.E.G. anlässlich des Münchener Kongresses 1984 entnehme ich, dass Walter Bongartz schon damals eine verstärkte Kooperation der beiden Gesellschaften befürwortet hat. Ein Jahr nach diesem Kongress, - 1985 – 1987 ist er Präsident der DGH; - 1986 heiratet er Bärbel, die er auf eben diesem Kongress in München kennen gelernt hat (nebenbei erwähnt: Bärbel hatte bei Albrecht Schmierer, der ebenfalls auf diesem 1984er Kongress seinen ersten großen Auftritt hatte, in Stuttgart gearbeitet; Albrecht hat 10 Jahre später, 1994, die Deutsche Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose, DGzH, gegründet, heute die größte Hypnosegesellschaft in Deutschland überhaupt); - 1987 – 1990 ist Walter Bongartz Präsident der European Society of Hypnosis; - 18. - 24. 8. 1990 organisiert er den 5th European Congress of Hypnosis an seiner Heimat-Universität Konstanz, in Mesmerland gewissermaßen (Bongartz, 1992)a. Dies war das zweite Mal, nach 1970 in Mainz, dass annähernd die gesamte internationale Hypnoseprominenz nach Deutschland kam – das geschah erst 2000 in München wieder – , denn Walter war inzwischen auch international bekannt. Nach Jahren im Vorstand der International Society of Hypnosis (ISH) war er - 1997 - 2000 Präsident der ISH. Damit trug er dazu bei, dass der 15. Internationale Kongress für Hypnose, 2000 an der Universität München, ein so erstaunlich großer Erfolg wurde. Nun zu seinem wissenschaftlichen Werk: Bis heute kann Walter Bongartz auf 65 Veröffentlichungen zurückblicken, fast alle natürlich zum Thema Hypnose und Hypnotherapie. Es sind 5 Bücher, 2 davon mit seiner Frau Bärbel Bongartz geschrieben; das bekannteste davon ist wohl „Hypnosetherapie“ (1998), ein solides, informatives und kreatives Lehrbuch für Kolleginnen und Kollegen, die sich in einer Hypnotherapieausbildung befinden. In seine 44 Zeitschriften- und 16 Buchbeiträge befasste er sich mit ganz unterschiedlichen Themen der Hypnose. Dies sind, um nur die wichtigsten zu nennen, Beiträge zur Geschichte der Hypnose, zu den prähistorischen Wurzeln der Trance, natürlich auch zu Mesmer und dem Mesmerismus (z.B. 1985b, 1992b, 2000) die deutschen Normen zu den bekannten Harvard- und Stanford-Suggestibilitätsskalen (1985c, 2000); Grundlagenforschungen zu hypnotischen Gedächtnisphänomenen (1985d, 1986); Grundlagenforschungen zu Auswirkungen der Hypnose auf das Blutbild; diese hat er in seiner Habilitationsschrift zusammengefasst (1996); interessante Fallberichte (z.B. 1988, 1991, ) und Beiträge zur Hypnosetechnik (z.B. 2001); auch eher skurril scheinende Feldforschungen bei Naturvölkern wie z.B. den Iban in Nord Borneo (1987) und den Yanomami-Indios im Grenzgebiet von Venezuela und Brasilien am oberen Orinoco. Die Bongartzens haben diese Reisen beschrieben, und weil es zum Thema dieser Tagung passt, will ich einen kleinen Absatz davon zitieren: “Der Schamane, Manang in der Sprache der Iban, verwendet drei Zeremonien zur Behandlung von Krankheiten. - Bei eng umschriebenen vorübergehenden Schmerzen wird in einer kurzen Zeremonie von etwa 5 Minuten Dauer (begama) der Schmerz in Form eines imaginären Blasrohrpfeils herausgezogen, wobei keine Trance herbeigeführt wird. - Bei der Belian-Zeremonie und bei der Belian-Bebunah-Buyu-Zeremonie hingegen versetzt sich der Manang in Trance, um die Seele des Patienten in der Trance vom Einfluss böser Dämonen zu befreien und sie dann einzufangen. Das Wort für Trance heißt denn auch in Iban "Seele fangen" (nyangka semengat). In der Trance, in der der Schamane das Bewusstsein für die unmittelbare Umgebung verliert (und nach Bericht eines Augenzeugen "seine Augäpfel weiß werden"), gelingt es ihm, den Dämon zu sehen, der die Seele des Patienten belästigt bzw. von ihr Besitz ergriffen hat. Normalerweis befinden sich die Seelen der Mitglieder einer Familie auf Blumen in der "geistigen" Welt. Seine Aufgabe ist es nun, mit Hilfe des mit ihm verbündeten guten Geistes Yang und der Hilfe anderer Schamanen, die in der Trance zugegen sind, dem Dämon die Seele abzujagen und sie zurück auf die entsprechende Blume zu bringen. Gelingt dies nicht, ist nicht nur der Patient krank, sondern auch die gesamte Familie geschwächt. Während der Verfolgung des Dämons (Belian-Zeremonie) bleibt er und die anderen Schamanen immer hinter seinem mächtigen guten Geist Yang, der den Dämon mit Speeren bewirft, bis dieser die Seele des Patienten fallen lässt und der Schamane diese ergreifen und zurückbringen kann. Es war für uns schon recht beeindruckend, wie dieser sehr gelassene und in sich ruhende Mann erzählte, daß er während der Verfolgung von Dämonen sehr große Ängste hätte. Viele Gefahren würden in Form von bösen Geistern auftreten, die ihn bedrohen. Aber obwohl er so große Angst hätte, sei er tapferer als die anderen Schamanen und hätte deswegen soviel Erfolg. Sein größter Erfolg sei die Befreiung eines ganzen Langhauses von einem bösen Dämon gewesen, wobei er zwei Tage und zwei Nächte für die Zeremonie gebraucht hätte.“ Das macht nachdenklich: Ob es wohl was bringen würde, wenn es uns aufgeklärten Schmerz-Therapeutinnen und -Therapeuten gelänge, unsere ganz banalen Versagensängste, also die Angst, bei unseren Patienten keinen Erfolg zu haben, zu symbolisieren, diesen Ängsten eine Gestalt zu geben, von der wir uns dann real bedroht fühlen, gegen die wir uns dann aber auch real zur Wehr setzen könnten. Ob eine solche Strategie in der Selbsterfahrung und Supervision von Kolleginnen und Kollegen wohl von Nutzen wäre? Wenn die Iban in Trance also die Seelen fangen (nyangka semengat), dann darf man sich fragen, wie die beiden Bongartzens wohl die Seele des jeweils anderen gefangen haben, als sie bei den Iban geheiratet haben, wie tief sie dabei wohl in Trance gewesen sind? Nun aber wieder zurück zu den – sagen wir – ganz konventionellen wissenschaftlichen Arbeiten von Walter Bongartz an der Universität Konstanz: Wichtig waren seine Meta-Analysen zur Effektivität der Hypnose (2002 und 2003 zus. mit Erich Flammer, der den diesjährigen Nachwuchsförderpreis der M.E.G. erhält). Wenn es uns gelingt, die indikationsspezifische Anerkennung von Hypnotherapie als wissenschaftlich begründetes Verfahren durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie zu erhalten, so ist das nicht allein das Verdienst von Dirk Revenstorf, dem vorletzten Preisträger, sowie anderer Kolleginnen und Kollegen, die an der Expertise mitgearbeitet haben – es ist v.a. auch das Verdienst von Walter Bongartz, der mit der Veröffentlichung seiner ersten Metaanalyse im Psychotherapeut einen ganz wichtigen Grundstein dazu gelegt hat. Sehr geehrter Herr Professor Bongartz, lieber Walter, Du hast Dich für die Hypnose und Hypnotherapie sehr verdient gemacht. Die Geschichte der modernen Hypnose seit Anfang der 1980er Jahre in den deutschsprachigen Ländern, in Europa und auch international ist ohne Dich nicht denkbar. Du hast in diesen 25 Jahren in unserem Fachgebiet auf mehreren Ebenen eine bedeutende Rolle gespielt. Ohne Deine Forschungen, ohne Dein Engagement und Deinen Enthusiasmus hätte die Hypnotherapie v.a. hier in Deutschland nicht das Standing, das sie heute ganz unzweifelhaft besitzt. Hierfür danken wir Dir mit diesem Preis ganz herzlich. Wenn auch nicht nominell, so doch ideell ist in diesem Dank und damit in diesem Preis auch Deine Frau Bärbel mit eingeschlossen, denn sie hat als Deine Co-Autorin und Partnerin einen ganz wesentlichen Beitrag zu diesem Werk mit geleistet. Liebe Bärbel, auch Dir herzlichen Dank.

Eine Auswahl an Literatur:
Bongartz, W. (1978). Selektive Verarbeitung tachistoskopisch dargebotener Reizmuster. München: Minerva (Dissertation Universität Konstanz 1978).
Bongartz, W. (1982). Verso una misurazione obiettiva della susettibilita ipnotica. Rivista Internazionale di Psicologia e Ipnosi, 23, 290 - 296.
Bongartz, W. (1983) Veränderte Wahrnehmung in Hypnose: Der Einfluss von subjektiverlebter Armverlängerung in Hypnose auf die kinästhetische Längendiskrimination. Experimentelle und Klinische Hypnose, 1, 64 - 71.
Bongartz, W. (1985a). Was ist Hypnose? In B. Peter (Hrsg.): Hypnose und Hypnotherapie nach Milton Erickson. München: Pfeiffer.
Bongartz, W. (1985c). German norms for the Harvard Group Scale of Hypnotic Susceptibility, Form A. International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, 33, 131 - 139.
Bongartz, W. (1985d). Encoding of high- and low-imagery nouns during hypnotic age regression. Experimentelle und Klinische Hypnose, 1, 143 - 152.
Bongartz, W. & Blum, G. (1986). Aufhebung der proaktiven Interferenz durch posthypnotische Amnesie? Experimentelle und Klinische Hypnose, 2, 49 - 57.
Bongartz, B. & Bongartz, W. (1987). "Nyangkap Semengat" (Die Seele fangen): Trance bei den Schamanen der Iban in Nordborneo. Experimentelle und Klinische Hypnose, 3, 43-47.
Bongartz, W. (1991). Drehschwindel (Morbus Meniere), In: Peter, B., Kraiker, C. & Revenstorf, D: Hypnose und Verhaltenstherapie. Bern: Huber.
Bongartz, W. (Hrsg.) (1992a). Hypnosis: 175 years after Mesmer. Recent developments in theoretical and applied hypnosis. Konstanz: Universitätsverlag.
Bongartz, W. (1992b). Die prähistorischen Wurzeln der Trance. In: Peter, B. & Schmidt, G. (Hrsg.). Erickson in Europa. Heidelberg: Carl Auer.
Bongartz, W. (1996). Der Einfluß von Streß und Hypnose auf das Blutbild. Frankfurt: Lang, (Habilitationsschrift Universität Konstanz 1993)
Bongartz, W. & Bongartz, B. (1998). Hypnosetherapie. Göttingen: Hogrefe. (2. Auflage, 2000)
Bongartz, W. (2000). Deutsche Normen für die Stanford Hypnotic Susceptibility Scale: Form C (SHSS:C). Experimentelle und Klinische Hypnose, 16, 123-134.
Bongartz, W. & Knössel, S. (2000). Trance, Krankheitsattribution und soziale Komplexität in traditionellen Kulturen. Hypnose und Kognition, 17, 5-17.
Bongartz, W., Flammer, E. & Schwonke, R. (2002). Die Effektivität der Hypnose. Eine meta-analytische Studie. Psychotherapeut, 47, 67-76.
Bongartz, W. (2003). Hypnosetherapie als eigenständige Psychotherapie. Hypnose und Kognition, 20, 5 -12.
Flammer, E. & Bongartz, W. (2003). The efficacy of hypnosis: A meta-analytic study. Contemporary Hypnosis, 20, 179-197.
Bongartz, B. & Bongartz, W. (2001). Die Stellvertretertechnik. In: Revenstorf, D. & Peter, B. (Hrsg.): Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Berlin: Springer.

 
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