Laudatio für Prof. Dr. Vladimir Gheorghiu

Am 8. November 1998 wurde zum ersten Mal der mit DM 10 000.- dotierte und von Ulrich Freund gespendete Milton-Erickson-Preis verliehen. Der erste Preisträger war Prof. Dr. Vladimir Gheorghiu. Hier ein Auszug aus der Laudatio von Dr. Burkhard Peter:

“Der Milton Erickson Preis der M.E.G. ist heute erstmalig an Herrn Professor Dr. Vladimir Aristo Gheorghiu überreicht worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde, es war gar keine Frage, wer der erste Träger dieses Preises sein werde. Ganz selbstverständlich, einmütig und ohne jede Diskussion: es mußte Vladimir Gheorghiu sein. Diese intuitive und emotionale Wahl läßt sich natürlich auch rational begründen:
1. Vladimir ist so etwas wie das Bindeglied und gleichzeitig das Scharnier zwischen der alten und der neuen deutschen Hypnose. Er verkörpert die Kontinuität und den Wechsel zugleich. Er hat seine Wurzeln – zumindest einige seiner Wurzeln, denn davon gibt es viele – sicherlich in der klassischen Suggestionstheorie und in der klassischen Hypnose. Und er konnte – im Gegensatz zu anderen Kollegen seiner Generation – die neueren Ansätze Ericksonscher Prägung mühelos rezipieren.
2. Kein Wunder auch, denn – und das ist der zweiter Grund für seine Wahl, inhaltlich der wichtigste – Vladimir ist immer seinen ganz eigenen Weg gegangen. Er identifizierte sich nie voll und ganz mit einer einzigen Idee, mit einer besonderen Schulrichtung, er verfiel nicht der Suggestivität eines singulären Gedankengebäudes, mag es auch noch so attraktiv erschienen sein. In diesem Zusammenhang muß ich daran denken, wie er mir in den 80er Jahren wiederholt offen und ganz ohne suggestiven Unterton zu erkennen gab, daß er es einfach nicht gut finde, wenn eine Gesellschaft sich nach einer Person benennen würde – er meinte unsere Gesellschaft, die M.E.G. Es fiel mir schwer, ihm damals nicht recht zu geben, zu überzeugend waren seine Argumente, u.a. daß die Suggestivwirkung eines Wortes oder Begriffes immer nur eine bestimmte Zeit trage, daß solche Suggestivmarker wie Milton Erickson einen Inhalt nicht nur transportieren, sondern ihn natürlich auch umgrenzen und damit unter Umständen unnötig eingrenzen. Ich muß gestehen, damals habe ich mir auch Sorgen gemacht. Aber: Grenzen können auch Herausforderung sein. Der Internationale Hypnose-Kongreß im Jahre 2000 in München ist ein direktes Ergebnis dieser “Sorgen”. (Aber das ist eine andere Geschichte, die nicht hierher gehört.) Man könnte Vladimirs mahnende Worte damals auch als geschicktes Spiel mit meiner Reaktanz umdeuten, aber ich glaube, damit täte ich ihm sehr unrecht. Vladimir ist viel zu offen, geradlinig und rechtschaffen in seiner direkten Kommunikation, obwohl oder gerade weil er sich sein ganzes wissenschaftliches Leben lang mit der Suggestionalität, hauptsächlich mit den verschiedenen Aspekten suggestiver Kommunikation und mit der Suggestivität von Interaktion und Situation beschäftigt hat. Sein Spätwerk – ich wage nicht zu sagen sein Hauptwerk, da ich seine rumänischen Bücher nicht lesen kann -, Suggestion and Suggestibility. Theory and Research, das er 1989 zusammen mit Netter, Eysenck und Rosenthal herausgegeben hat, ist das in der internationalen Hypnose- und Suggestions Literatur wohl meistzitierte Buch eines deuschen Autors und Herausgebers. Die Ernstheit und Geradlinigkeit, mit der Vladimir dieses schwierige Thema der Suggestion behandelt hat, steht allerdings in krassem Widerspruch zu den Möglichkeiten, mit denen man gerade dieses Thema hätte präsentieren können: Wie leicht könnte man suggestiv, einnehmend oder gar manipulierend über Suggestion und Suggestionalität sprechen – und ich will offen bekennen, daß ich mir manchemal gewünscht habe, er hätte es getan, um noch mehr Kolleginnen und Kollegen für dieses sein Thema zu interessieren. Aber Suggestion – so könnte man paradoxerweise sagen – war seine Sache nicht. Vielleicht gerade deshalb, und vielleicht auch wegen einiger biographischer Besonderheiten, auf die ich noch kommen werde, konnte er // nach dem 2. Weltkrieg und nach Hitler-Deutschland // international zum führenden Experten für Suggestion und Suggestionalität werden. Für dieses wissenschaftliche Lebenswerk ist ihm der Milton Erickson Preis der M.E.G. verliehen worden. Zu diesem wissenschaftlichen Werk gehören: 1. Die theoretische Bestimmung des Stellenwertes von Suggestion, Suggestivität und Suggestibilität nicht allein in hypnotischer Hinsicht sondern v.a. auch aus einer kognitions- und sozialpsychologischer Perspektive heraus. 2. Die Erforschung der Einflußfaktoren suggestionsbedingter Verhaltensweisen. 3. Die Erarbeitung von Meßinstrumenten zur Bestimmung von Suggestionsfaktoren. 4. Die Anwendung von hypnotischen, suggestiven und imaginativen Verfahren, um Angst und Schmerzen zu reduzieren. 3. Es gibt aber auch noch einige andere Gründe, die es so selbstverständlich gemacht haben, ihm diesen Preis zu verleihen. Um dies etwas zu verdeutlichen, möchte ich mit einer persönlichen Erinnerung anfangen; mein erster persönlicher Kontakt mit Vladimir: 1985 hielt ich auf einem Kongreß des BDP einen Vortrag zur Hypnose. Danach kam ein ganz und gar liebenwürdiger, etwas älterer Kollege auf mich zu und sagte mit unumwundener Herzlichkeit: “Junge, das hast Du aber gut gemacht. Wir müssen das öfters machen. Ich bin Vladimir Gheorghiu, etwas schwierig mit den zwei H nach den zwei G. Aber weißt Du, wir dürfen nicht in unseren Zirkeln bleiben, wir müssen auf andere zugehen ... usw.” Ja, das ist Vladimir ... heute immer noch, seine direkte Herzlichkeit, seine spontane Direktheit, ganz unsuggestiv ... Etwas verdutzt fragte ich damals, ob er etwa der Gheorghiu von Hypnose und Gedächtnis sei. Natürlich war er es, das war schließlich seine Promotion, 1973 veröffentlicht. Ich wage es kaum zu sagen, weil es hier vielleicht doch etwas kitschig klingt, aber – Vladimir – dieses Buch war das erste Buch über Hypnose überhaupt, das ich mir ca. 1974/75 gekauft habe, noch vor Dietrich Langens Kompendium der medizinischen Hypnose, das war mein zweites Buch über Hypnose. Danach kamen Erickson, Rossi & Rossie und die anderen Bücher über und von Milton Erickson. Und, heute kann ich es ja sagen, ich habe das Buch damals schnell wieder beiseite gelegt, da ich – wie so viele Hypnose-Anfänger – sich bei solchen wissenschaftlichen Büchern in ihren Erwartungen stark enttäuscht sah. Dieses Buch ist ganz unhypnotisch, ganz unsuggestiv, es ist kritisch und fundiert. Und vor allem – und deshalb habe ich dann doch immer wieder etwas weitergelesen – es rezipiert den damaligen Stand der internationalen Hypnoseliteratur zu den Themen der hypnotischen Hypermnesie und Amnesie. 4. So war Vladimir – darf ich das so ganz persönlich sagen – nicht nur mein erster direkter Kontakt zur Hypnose, sondern indirekt auch zur internationalen Hypnosegemeinschaft, Jahre bevor Milton Erickson uns dann 1978 faszinierte – und ich bin da nicht der einzige. Ich bin auch nicht der einzige, der Dich, lieber Vladimir, als seinen eigentlichen, geistigen Doktorvater betrachtet. Hab vielen Dank für Deine Wärme, Dein immer-wieder-Mut-machen, Deine Unterstützung, auch für Deine Kritik. 5. Es ist hier in Deutschland gar nicht so gut bekannt, daß Vladimir Gheorghiu – ich habe es oben schon angedeutet – in der interntionalen Hypnosegemeinschaft, nur für die will ich hier sprechen, seit langem geachtet und angesehen ist. Er hat beispielsweise die Interntional Society of Hypnosis (ISH) unter ihrem Grundungspräsidneten Ernest R. Hilgard 1973 in Uppsala mitbegründet. Ebenso ist er Gründungsmitglied und Board-Member der European Society of Hypnosis (ESH), die 1978 gegründet wurde. Er ist Mitglied verschiedener nationaler Hypnosegesellschaften, u.a. Ericksons American Society of Clinical Hypnosis seit 1964; seit 1968 ist er Mitglied der DGÄHAT, die damals angeblich keine Psychologen aufgenommen hat, und natürlich ist er Ehrenmitglied unserer M.E.G.. Wer ist Vladimir Gheorghiu. Alle glauben ihn zu kennen, die meisten glauben, ihn gut zu kennen, so auch ich, aber vieles habe ich doch erst durch direktes Nachfragen erfahren. So wichtig ihm sein Forschungsgegenstand ist, für den er streitet und kämpft – Vladimir macht kein Aufhebens um seine Person. Erlauben Sie mir deshalb, noch einige persönliche Daten unseres Preisträgers aufzulisten, die natürlich nicht seine wissenschaftlichen Motive offenlegen, vielleicht aber ein wenig über sein europäisches und internationales Engagement aussagen und etwas über die Person Vladimir Gheorghiu. Diese Daten zeigen das typische Bild eines sehr schwierigen Lebensweges – schwierig durch die vielen komplizierten und bösen politischen Verwicklungen dieses zu Ende gehenden Jahrhunderts und den daraus entstehenden ganz persönlichen und existentiellen Gefährnissen: Vladimir wurde am 23. Januar 1926 in Berlin als jüngstes von 4 Kindern geboren. Seine Eltern, der Vater Rumäne, die Mutter Deutsche, lebten seit 1911 in Berlin. Vater und Kinder waren Ausländer, Rumänien war 1916 in den Krieg gegen Deutschland eingetreten, und so wurde nach der Machtübernahme Hitlers die Situation für die Familie Gheorghiu immer schwieriger. 1936 schließlich siedelte sie in den Geburtsort des Vaters Constansa nach Rumänien über. Vladimir beginnt mit 14 Jahren im Hafen zu arbeiten, besucht als Externer das Gymnasium und macht 1947 Abitur, besteht im gleichen Jahr noch die Aufnahmeprüfung für die psychologische Fakultät in Bukarest, kann das Studium aus Geldmangel aber erst 1950/51 beginnen. 1955 macht er sein Psychologie-Examen und erhält 2 halbe Stellen am sozialwissenschftlichen Lehrstuhl der Universität von Bukarest. Zwei Jahre danach tritt er die Stelle eines Hilfsforschers am psychologischen Institut der rumänischen Akademie der Wissenschaften an, wird 1958 zum Forscher und 1964 zum Haupforscher befördert. 1968 ist ein wichtiges Jahr: Er kommt als Humbold-Stipendiat an die Universität Mainz, zunächst für ein halbes Jahr, dann verlängert auf 2 Jahre. Seine Professoren sind Albert Wellek, Dietrich Langen und Werner Fröhlich. 1969 promoviert er über die Themen hypnotische Hypermensie und Amnesie; wie oben schon gesagt, wird diese Arbeit 1973 veröffentlicht. 1973 folgt in Mainz die Habilitation zum Thema “Untersuchungen zur sensorischen und motorischen Suggestibilität”. Dann werden die Zeiten für ihn langsam schwieriger. Ein bewilligtes DFG-Projekt kann er nurmehr von Rumänien aus leiten, da er keine Ausreise mehr erhält, auch nicht zu Kongressen in andere sozialistischen Ländern. Seine deutschen Mitarbeiter an diesem Projekt müssen zu ihm nach Bukarest kommen. Diese Schwierigkeiten werden 1980 noch deutlicher, als ihm die Beförderung zum Forscher 1. Grades verweigert wird mit dem Hinweis, er sei “der einzige Bewerber mit Schwierigkeiten im Dossier”, und er sei mit einer Bundesdeutschen, seiner zweiten Frau Ursula, verheiratet. 1982 schließlich wird es katastrophal: Auf Beschluß des Politbüros wird das gesamte psychologische Institut aufgelöst, die 140 Beschäftigten werden arbeitslos, bekommen aber keine Arbeitslosenunterstützung. Die Wissenschaftler unter ihnen erhalten Berufs- und Publikationsverbot, ihnen werden die Titel aberkannt, sie sollen von ihren Familien getrennt werden und bekommen Arbeitsplätze in der Produktion. Vladimir – er ist nun 53 Jahre alt – muß eine Arbeit in einer Großwäscherei annehmen und Wägelchen mit schmutziger Wäsche zu den Waschkesseln schieben. Zusammen mit Kollegen klagt er gegen die Entlassung, scheitert aber in erster und zweiter Instanz. Im Urteil wird behauptet, die Beschuldigten hätten ihre Schuld anerkannt, wovon keine Rede sein kann. Das zuständige Unterrichtsministerium verlangt von ihm die Vorlage seiner Publikationen und Manuskripte mit dem Zweck, ideologische Verstöße zu finden. Die dann gefundenen ideologischen Verfehlungen sind so abenteuerlich wie beliebig, daß sie eine eigene Geschichte wert wären. Die Zeitung die Welt hat am 4. Juli 1983 ausführlich darüber berichtet. Seine zwei rumänischen Bücher werden nicht mehr ausgeliefert bzw. aus den Buchläden zurückgeholt. Im Juli 1982 wird ihm die Ausreise verweigert und er wird für seinen Ausreiseantrag bestraft, indem ihm die Staatsangehörigkeit aberkannt wird mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Er wendet sich an ausländische Kollegen, u.a. an Ernest Hilgard in Stanford, Petra Netter in Gießen und Peo Wikström in Stockholm, die Briefe an Ceausescu und den Ausenminister Andrei schreiben. Schließlich erreicht er seine Ausreise im August 1983. 1983 also, im Alter von 57 Jahren kommt Vladimir als Staatenloser nach Deutschland und fängt hier gewissermaßen neu an. In Rumänien ist er persona non grata, darf nicht mehr ins Land einreisen. Seine beiden Söhne aus erster Ehe, die in Rumänien verbleiben, dürfen unter Androhnung des Verlustes ihres Arbeitsplatzes keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Diese Situation ändert sich erst nach Ceaucescus Sturz, nach 1989/90. Hier in Deutschland ist es nach 1983 natürlich etwas leichter für ihn. Er kann frei und ungehindert seine Forschungen weiterverfolgen – und es würde zu lange dauern, hierauf genauer einzugehen. In Kürze nur das Wichtigste: 1983 bis 1991, dem Jahr seiner Emeritierung, ist er Professor an der Universität Gießen, Fachbereich Psychologie. 1987 organisiert er das erste Symposium über Suggestion und Suggestibilität in Gießen, 1994, zusammen mit Vilfredo de Pascalis das zweite in Rom. Das dritte ist für nächstes Jahr in Rumänien geplant. Hierbei zeigt sich wieder der Ruf, den er international genießt: Annähernd alle internationale hypnotische und suggestive Kompetenz war auf diesen Symposien vertreten. Vladimir hat den Ruf, das Ansehen, dies zu bewirken. Deshalb bin auch besonders froh, daß er im wissenschaftlichen Vorstand unseres Internationalen Hypnose-Kongresses im Jahre 2000 in München ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie stimmen sicher mit mir überein, daß wir eine gute Wahl getroffen haben, indem wir Herrn Professor Dr. Vladimir Gheorghiu heute erstmalig den Milton Erickson Preis der M.E.G. verliehen haben, gestiftet von Ulrich Freund und dotiert mit DM 10.000.- (zur persönlichen Verwendung wie beim Nobel-Preis, für nichts anderes, Vladimir!).”

Gheorghiu, V.A. (1977). Hipnoza, realitate si fictiune (Hypnose, Fiktion und Realität; Veröffentlichung in Bulgarien 1982, in Polen 1984).
Gheorghiu, V.A. & Ciofu, I. (1982). Sugestia si sugestibilitate (Suggestion und Suggestibilität, psychologische und psychophysiologische Aspekte).

 
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