Hypnose - Lernen

Revenstorf, D. & Zeyer, R. Hypnose - Lernen. Leistungssteigerung und Stressbewältigung durch Selbsthypnose. Heidelberg: Carl Auer

Auf dem Cover versprechen die beiden Autoren, Strategien zu präsentieren, die in so unterschiedlichen Bereichen wie Beruf, Studium, Privatleben und Sport nützlich sein sollen, ja sogar in der Beratung und Führung von Menschen. Sie wollen im vorliegenden Buch eine Fähigkeit bewusst machen, die wir alle besitzen, nämlich, in Trance zu gehen und so brachliegende Kräfte freizusetzen. 1. Was ist „Trance"? In der Einleitung erklären die Autoren, was sie unter „Selbsthypnose" verstehen: Anhand einer Reihe von Techniken, die im Buch geschildert werden, soll der Leser in die Lage versetzt werden, ohne fremde Hilfe einen Hypnosezustand zu erreichen; dieser wird als „Trance" bezeichnet. Spezifische Übungen sollen dem Leser die Selbsthypnose ermöglichen, eine Fähigkeit, die nach Auskunft der Autoren grundsätzlich jeder Mensch hat, ähnlich wie auch jeder in der Lage ist, einen Ball zu werfen. So „hat jeder Mensch die Fähigkeit zur Selbsthypnose und kann auf natürliche Weise den Trancezustand erreichen. Zusätzlich kann jeder lernen, diese Fähigkeit gezielt einzusetzen." Bevor ich daranging, das Buch zu lesen, habe ich mir folgende Frage gestellt: Wenn der geschilderte Trancezustand von jedem ganz leicht und schnell erlernt werden kann, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Phänomen „Trance" ja auch um ganz simple „Entspannung" handeln könnte, die mal weniger tief, ein andermal tiefer ausfällt. Über Nutzen und Wirkung von Entspannung in Stresssituationen ist viel geschrieben worden, und über die Vorteile der Selbstentspannung - sei es auf kognitivem Wege oder auf dem Wege von Körperübungen - bräuchte man kein neues Buch mehr zu schreiben. Zudem gilt der Einwand, dass das Phänomen „Trance" etwas mangelhaft definiert ist und als unscharfer Begriff gelten muß - es gibt kaum Operationalisierungen. Meine Grundfrage an die Autoren lautete also zunächst: Was unterscheidet „Trance" von körperlicher oder geistiger „Entspannung"? Trance ist, wie die Autoren ausführen, ein Zustand entspannter Wachsamkeit, in dem die Denkprozesse nicht gemindert und gedämpft sind, wie in der tiefen Entspannung im alltagsgebräuchlichen Sinne, sondern ein Zustand, in dem die kognitiven Fähigkeiten gewissermaßen „gelockert" sind und entkrampft, so dass neue Einsichten entstehen können. Auch Milton Erickson schätzte an der Hypnotherapie vor allem diesen Aspekt. Er beschrieb wiederholt die Gefahr, die darin liege, dass der Mensch seinen rationell-intellektuellen Fähigkeiten und Schlüssen zu sehr das Primat über seine Intuition einräume. Ein weiterer Aspekt, den die Autoren ansprechen, ist das bildhafte Denken in der Trance. Auch dies spricht für einen Zustand der entspannten Wachsamkeit in der Trance, in dem man eben gerade nicht „selig dahindämmert" in die spannungslose Entspannung hinein, sondern vielmehr Zugang zur eigenen Innenwelt erhält, ein Zugang, der aber mit wachem Geist beschritten wird: „Dabei [bei der Trance] spielt die Übersetzung ins Bildliche eine wichtige Rolle, denn ein Bild sagt oft mehr als tausend Worte. So brachte eine Frau in Trance die Bewältigung einer konflikthaften Begegnung mit einem Sprung vom Sprungturm in Verbindung. Die Erinnerung an das fehlende Gefühl des Sich- lösens und an das Fliegen gab ihr innerlich eine Möglichkeit, sich aus der Enge der Gesprächssituation zu befreien. Die Entspannung macht offenbar kreativere Lösungen möglich als das angestrengte Nachdenken." (S. 29) 2. Wie gelange ich in diesen Zustand? Die neue Frage an das Buch, die uns nun interessiert, lautet wohl: Wie gelangt man in diesen Trancezustand? Das folgende dritte Kapitel bietet hier noch wenig, denn es regt zu einer Selbstreflexion anhand verschiedener Fragebögen an, die dem Leser helfen sollen, sich über die eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu werden. Die Fragebögen sind meiner Meinung nach aber nicht optimal, da die standardisierte Form kaum freie Gedanken und Assoziationen zulässt. Richtig ist jedoch, was die Autoren zu Beginn des nächsten Kapitels zur Angst- und Stressbewältigung zu sagen haben: „Nicht jeder reagiert unter gleicher Belastung auf ein und dieselbe Weise. Wir strengen uns mehr an oder geben schnell auf, wir suchen aktiv nach Lösungen oder ziehen uns passiv in uns selbst zurück. Wovon hängt unsere Reaktionsweise auf Stress ab? Die Ergebnisse der Stressforschung zeigen, dass hierbei das Verhalten sowohl von Merkmalen der Situation als auch von Merkmalen der Person wechselseitig beeinflusst wird." (S. 39) 3. Die Übungen zur Tranceinduktion Nun geht es zur Sache. Vorgestellt werden sechs Übungen der konzentrierten Vertiefung und Versenkung, die der Leser je nach Vorliebe auswählt und auch kombinieren kann, da sie verschiedene Zugänge zur Trance bieten. Alle haben mir ausnahmslos gut gefallen, denn sie haben eine sehr angenehme, beruhigende Wirkung und führen zu einer Zentrierung und Hinwendung auf an Körper, eine Hinwendung, die sich allerdings von den mir bekannten Körperübungen - beispielsweise die asiatische Heilgymnastik, Bioenergetik, Tanzen deutlich unterscheidet, da man viel weniger „machen" muß und viel mehr „sein" kann und sich dabei spürt. Die Autoren schreiben in der Mitte dieses Kapitels: Wenn Sie bis hierher gefolgt sind, haben Sie bereits begonnen zu lernen, Ihren Blick weit zu stellen und sich von den Sie umgebenden Reizen zu distanzieren, ohne sie aus den Augen zu lassen. Ihren Körper können Sie mehr und mehr sich selbst überlassen. (...) Ein Ziel der Hypnose ist es, unwillkürliche Reaktionen zuzulassen, wo wir durch zuviel Absicht dem Körper die Möglichkeit nehmen, selbst die richtigen Lösungen zu suchen, obwohl er sie viel besser kennt als unserer Bewußtsein." (S. 7of) Besser kann man nicht formulieren, worin in der Regel das Vorgehen erfolgreicher Heiler sowohl in der Psychologie wie auch in der Medizin besteht, was schon seit altersher bekannt ist („Natura sanat, medicus curat"), heute allerdings zu wenig berücksichtigt wird. 4. Wissenswertes zur Stressbewältigung Auch in theoretischer Hinsicht richtig fundiert werden die Darlegungen der Autoren dann im sechsten Kapitel, welches das zentrale Kapitel des ganzen Buches ist und wertvolle Anregungen bereithält. Das Thema dieses Abschnittes ist „Trance - Strategien zur Stressbewältigung". Die Autoren führen aus, dass Stress im allgemeinen aus Leistungs- und Prüfungssituationen, also Anforderungssituationen, heraus entsteht und sich in körperliche und seelische Komponenten teilen lässt. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Situationen gelingt, so erfahren wir, wenn man folgende Fertigkeiten besitzt: 1. Die innere Einstellung, es schaffen zu können und auf dem richtigen Weg zu sein. 2. Die körperliche Aktivierung, die notwendig ist, um erfolgreich handeln zu können. Der optimale Bereich ist der einer mittleren Aktivierung, denn weder totale Entspannung („Erschlaffung") noch Hochspannung (Körperstress) befähigen zur Leistung. 3. Die Aufmerksamkeit soll auf die Aufgabe zentriert sein. Hier geht es darum, sich zu konzentrieren, also andere - ablenkende - Wahrnehmungsreize des Umfeldes, aber auch körperliche Empfindungen, möglichst auszublenden. Was können die im vorigen Kapitel geschilderten Übungen zur Selbsthypnose bezüglich dieser vier wichtigen Punkte erreichen? Die Verfasser schreiben: „Hypnose kann eingesetzt werden, um die Wahrnehmung auf bestimmte Inhalte zu lenken, die Aufmerksamkeit aufgabenspezifisch zu zentrieren (FOKUSSIERUNG) und damit andere Wahrnehmungen auszublenden (DISSOZIATION). Die Trancefähigkeit zur Dissoziation, also dem Abspalten bestimmter Erlebnisinhalte, ermöglicht die Vermeidung emotionaler Eskalation im Anblick einer drohenden Gefahr (DISTANZIERUNG). In der Vorstellung können alte und bevorstehende Prüfungssituationen rekapituliert bzw. vorweggenommen werden. Dadurch wird dem Erleben dieser Situation das Bedrohliche der unbekannten Gefahr genommen und eine Gewöhnung an die mit der Auseinandersetzung verbundene Gefahr gefördert (BANNUNG). Außerdem können spezifische Ressourcen, d.h. hilfreiche Erfahrungen zur Bewältigung mobilisiert werden (ASSOZIATION). Mit Metaphern oder Geschichten können vorbewusste Suchprozesse ausgelöst werden, die individuelle Lösungen erleichtern, ohne direkte Vorschriften zu machen." (S. 82f) Von grundlegender Bedeutung ist auch der interessante Aspekt der Unwillkürlichkeit, also des Geschehen-Lassens, welches nur möglich ist, wenn der Kopf mit seiner Flut von Regeln, Theorien, Plänen - und oft destruktiven Gedanken - in Leistungssituationen auch einmal „zurücktreten" kann. Zur Unwillkürlichkeit heißt es im Buch: „Es wurde eingangs erwähnt, dass viele Bewegungsabläufe (z.B. Gehen), vegetative Reaktionen (Einschlafen) und kognitive Prozesse (Vergessen, Erinnern) unwillkürlich besser funktionieren, als wenn wir sie mit willentlicher Vor- nahme erzwingen wollen. Nutzen Sie die Möglichkeiten der Selbsthypnose, um diese Unwillkürlichkeit zu fördern. (S.83). Das folgende hätte auch Erickson selbst nicht schöner formulieren können: „Wer sich vor oder in schwierigen Situationen erlaubt, in Trance zu gehen, ermöglicht seinen unwillkürlichen Reaktionen, sich optimal zu entwickeln. Das Tranceerleben an sich kann schon die nötige innere Freiheit, Ruhe und Distanziertheit auslösen, um Lösungsschritte einzuleiten." (S. 84) Äußerst zutreffend ist auch, was die beiden Autoren zur Konzentration und zum Willensakt bemerken. Hypnose kann, wie sie sagen, dabei helfen, einen positiven Geisteszustand hervorzurufen, der mit der Entspannung verbunden ist. Nur so gelingt es, die eigenen Vorhaben auch zu verwirklichen. Die schiere Willensanstrengung, wie sie in einigen Büchern über „Positives Denken" empfohlen werden, greift demgegenüber nicht tief genug, denn sie bleibt rein kognitives Stückwerk. Wer versucht, sich so -durch puren Willensakt - selbst zu „bemeistern" wird früher oder später verzweifeln. Anschließend gehen die Autoren auf die Aktivierung der eigenen Ressourcen ein. Gemeint ist damit nichts anderes als der Umstand, dass man sich konkret fragt, in welchen Situationen man sich wohl fühlt: „Es gibt Tage, an denen geht es Ihnen auch ohne besonderen Grund prima. Sie könnten Bäume ausreißen. Es ist so, als wären Sie in einer besonders guten Verfassung. Dann können Sie unangenehmen Situationen mit Leichtigkeit, Energie, Heiterkeit, Entschlossenheit, Besonnenheit, Geduld oder anderen Qualitäten begegnen. An einem solchen Tag wären Sie gut gerüstet, ein Vorstellungsgespräch zu führen oder eine Prüfung zu bestehen. Natürlich können Sie auch etwas Konkretes dafür tun: genügend Schlaf, Bewegung, ein bisschen geplanter Erfolg, eine angenehme Umgebung. In manchen Situationen scheint sich dieses Gefühl, über die eigenen Kräfte uneingeschränkt zu verfügen, spontan einzustellen. Dafür hat jeder seine speziellen Auslöser. Für den einen ist es im Urlaub so, für den anderen, wenn er seinem Hobby nachgeht oder wenn er mit einem bestimmten Menschen zusammen ist." (S. 86f) Auch zur Vergangenheitsbewältigung berichten die Autoren fundiert: „Die vielfach verbreitete Meinung, man müsse immer erst alte negative Erfahrungen ausräumen, bevor man seine Ziele, sein Leben in die Hand nehmen kann, ist falsch. Häufig begegnet man dem Phänomen, dass jemand sich von alten hinderlichen Banden löst, indem er seine Aufmerksamkeit einfach auf das richtet, was er erreichen möchte." (S. 89) Schließlich besprechen die Verfasser noch den Reiz, der darin liegt, die Zukunft vorwegzunehmen: „Es liegt ein eigenartiger Reiz in der Überzeugung, man sei das schon, was man sein will, und man könne schon das, was man sich wünscht. In der hypnotischen Imagination kann man sich die Kraft dieser Überzeugung zunutze machen, indem man eine kommende Erfahrung vorwegnimmt und damit eine innere Bahnung erreicht. Durch diese Vorstellungsübung bereiten Sie einen Weg vor, der die praktische Umsetzung erleichtert'. (S. 92) Interessant scheinen mir, als abschließende Bemerkung, die zahlreichen Parallelen zwischen den hier entworfenen Ratschlägen zur Eigentherapie und jenen Empfehlungen, die im Zen-Buddhismus formuliert werden: In beiden Fällen kommt es immer darauf an, sich vollkommen einer Sache hinzugeben, sich auf sie zu konzentrieren und in diesem Zustand von Versenkung und wacher, entspannter Aufmerksamkeit das Beste zu leisten. Ich beglückwünsche die beiden Autoren zu ihrem Werk, das uns dabei helfen kann, alte Weisheit und zeitlose Lebenskunst wiederzuentdecken.

Albrecht Schnabel

 
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